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Credo quia absurdum

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Dr. phil. Elmar Basse

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Credo quia absurdum

Bei Thorwald Dethlefsen findet sich eine Bemerkung, die, aus dem Zusammenhang gerissen, vollkommen verrückt erscheint, nämlich dass das Universum in Wirklichkeit nicht existiere. Wie das?, wird man fragen. Gibt es den Stuhl, den Tisch, den Baum denn nicht wirklich?


Der vollständige Satz lautet jedoch: „Verfolgt man diesen Gedanken zu Ende, so zeigt sich, dass das Universum in Wirklichkeit gar nicht existiert.“ Denn dieses sei endlich, wandelbar, polar. Das Eine, der Urgrund (in der Religion: Gott), würde hingegen „unendlich, unbegrenzt, alleinig“ sein.1 Wir können hinzufügen: eigenschaftslos, unwandelbar und ewig (siehe auch: Das Eine).


Wer die vorherigen Texte las, die auf meiner Seite stehen, wird sich vielleicht selbst gefragt haben, ob das die Konsequenz sein müsse – dass es die Schöpfung gar nicht gibt, dass sie in Wirklichkeit nicht existiert. Aber wenn eine „offenkundig“ derart absurde Vorstellung die Schlussfolgerung eines Denkweges ist, beweist das nicht, dass er ganz falsch ist, dass es sich um einen Irrweg handelt?


Hier kann das Analogieprinzip helfen: wie oben, so unten.


Betrachten wir unser eigenes Leben: Wir gehen durch vielfältigste Situationen. Was eben noch war, ist bald schon vergangen. Der gestrige Tag ist schon lange vorbei. Es fällt uns meistens sogar schwer, uns überhaupt noch daran zu erinnern, was wir vor einigen Tagen machten. Nicht wenige Menschen sagen von sich, sie könnten sich kaum daran erinnern, wie ihre frühe Kindheit war.


Für andere Menschen ist es so, dass sie sehr deutlich erinnern können, was früher einmal geschehen ist. Blickt man aber genauer hin, ist das Gedächtnis nicht einfach ein Speicher des vergangenen Geschehens. Stattdessen wird Erinnerung immer neu mental konstruiert. Je nach gegenwärtigem Zustand blicken wir anders auf das Geschehen, das wir früher erlebt haben. Das lässt sich psychologisch belegen.


Tatsächlich ist es also so, dass wir als jeweilige Menschen in einem stetigen Prozess von Entstehen und Vergehen leben, sowohl körperlich als auch psychisch. Wir wandeln und verändern uns stetig und ebenso unsere Umgebung. Und trotzdem gehen wir davon aus, dass wir immer dieselben sind. Auch wenn die Kindheit schon lange zurückliegt und ich gar kein Kind mehr bin, die Kindheit also vergangen ist, ist es meine Kindheit gewesen. Ich bin damals „ich“ gewesen, ebenso wie ich heute „ich“ bin und morgen immer noch „ich“ sein werde.


In dem Wandel, den ich erlebe, bleibt mein Ich als Ich vorhanden. Ich war nämlich immer da, seit ich diese Welt betrat, und ich bleibe immer Ich, bis ich die Welt dereinst verlasse. Die äußere Erscheinung des Ich sowie das, was es erlebt, ist dem Wandel unterworfen, doch das Ich hingegen nicht.


Darum kann auch ein sehr alter Mensch auf seine Kindheit zurückblicken und sie wird ihm nicht fremd erscheinen, sondern heute genauso wie damals ist stets und immer das Ich da gewesen. Seine Erscheinung hat sich verändert, der Körper, das Leben, das das Ich führte, es selbst jedoch ist immer da.

 

Nichtsdestotrotz ist das ein Wissen, was natürlich ganz „unnütz“ ist, wie schon Aristoteles sagte. Dieses Wissen hilft nicht in unserem Alltag, wenn wir den Nagel in die Wand schlagen müssen oder das Essen zubereiten. Es ist ein esoterisches Wissen, das für jeden verfügbar ist, doch nur wenige sehen den Wert und werden an ihm teilhaben wollen (siehe auch Esoterik | Exoterik).


Im Grunde ist es eine Art von Artistik, wie Peter Sloterdijk es beschreibt.


Als Beispiel wählt er Kafkas Erzählung, die den Titel „Erstes Leid“ trägt, in der von einem Trapezkünstler die Rede ist, „der es sich angewöhnt hat, nach seinen Darbietungen nicht mehr aus der Zirkuskuppel herabzusteigen. Er richtet sich unter dem Zeltdach ein und nötigt seine Mitwelt dazu, ihn in der Höhe zu versorgen. Aufgrund seiner Gewöhnung an die bodenentrückte Existenz werden ihm die Umzüge zwischen den Städten, in denen der Zirkus seine Gastspiele gibt, mehr und mehr zur Qual, weswegen sein Impresario versucht, ihm die Übergänge nach Möglichkeit zu erleichtern. Dennoch verstärkt sein Leiden sich zusehends. Nur in den schnellsten Autos oder im Gepäcknetz von Eisenbahnabteilen hängend kann er die unumgänglichen Reisen überstehen.“2


Auch der spirituelle Weg ist in diesem Sinne ein akrobatischer Weg. Wie der Trapezkünstler kann man auf ihm immer weitergehen und sich immer weiter entwickeln.


Dabei liegt in dem esoterischen bzw. spirituellen Weg eine Problematik verborgen, die auch der Trapezkünstler kennt: dass nämlich der Akrobat / der Artist zunehmend droht die „Beziehung zur Bodenwelt“ zu verlieren:


„Indem er sich ausschließlich in der Sphäre einrichten will, in der er seine Kunststücke vollbringt, löst er das Verhältnis zum Rest der Welt auf und zieht sich in seine prekäre Höhe zurück.“


Damit löst er, wie Sloterdijk schreibt, aber ein Spannungsverhältnis auf, und zwar ausdrücklich einseitig, indem er sich dazu entscheidet, nur noch eine Seite zu leben, ganz auf Kosten der anderen.


Für den Menschen, der keine Kunstfigur ist und also nicht der Fantasie eines Schriftstellers entspringt, ist das kaum ein gangbarer Weg. Spirituell sein bedeutet mitnichten, das Spannungsverhältnis aufzulösen, sondern es vielmehr auszuhalten.


Die Wirklichkeit hat Forderungen, denen der Mensch nachkommen muss. Man kann sich ihr ganz und gar überlassen, dann verkümmert das Spirituelle und man lebt in der Exoterik.


Der andere Weg ist anspruchsvoll. Hier gilt es ggf. auszuhalten, dass es „die jeder Radikalartistik innewohnende Tendenz zu immer weitergehender Erhöhung des Niveaus gibt“. Je mehr man erfährt, erkennt, erlebt auf dem spirituellen Weg, desto mehr Sichtweisen öffnen sich und desto mehr gibt es zu erleben:


„Der Drang zur Steigerung ist der Kunst inhärent wie der religiösen Askese der Wille zum Überwirklichen: Perfektion ist nicht genug. Was weniger ist als das Unmögliche, befriedigt nicht.“


Der spirituelle Weg ist demnach ein Übungsweg. Die Unbescheidenheit ist ihm eingebaut, das Vorwärtsstreben zum Einen und Wahren. Was exoterisch „verrückt“ scheint, ist esoterisch stattdessen etwas, dem man sich vielleicht öffnen kann, wenn man weiter auf dem Weg geht. Die „Grenze zwischen dem Möglichen und Unmöglichen“ ist jetzt nicht mehr klar definiert. Es wird nun für den Menschen denkbar, sich das bislang „Unmögliche“ sogar als „vollbringbar“ vorstellen zu können.


Auf dem spirituellen Weg sprengt sich, um mit Sloterdijk zu sprechen, das „System der empirischen Plausibilität“ auf und man tritt ein in die „Sphäre des real existierenden Unmöglichen. Wer diese Figur intensiv trainiert, erlangt die für Artisten charakteristische Beweglichkeit im Umgang mit dem Unglaublichen.“3


Es erübrigt sich wahrscheinlich, eigens noch erklären zu wollen, was der Wert all dessen sei. Wer den Drang nicht in sich spürt, wird den Weg nicht gehen wollen. Doch wer ihn in seinem Innern besitzt, kann die Welt auf eine Weise erfahren und ein Wissen für sich gewinnen, das ihm sonst immer verborgen bliebe.





Anmerkungen:

1) Thorwald Dethlefsen: Schicksal als Chance, München 1979, S. 180

2) Peter Sloterdijk: Du musst dein Leben ändern, Frankfurt/M. 2009, S. 109f.

3) a.a.O., S 110f.


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